„Hin und …“
„Hin und …“
Hin und … Wussten Sie, dass das Lexikon genau vier Ergänzungen kennt. Sie wundern sich und sagen: Nur!? Ja, ich konnte da auch nicht anders, damals, dem hab ich am Anfang auch misstraut. Bzw. habe ich misstrauen müssen. Ganz klar, vier sind zu wenig. Lag, ungelogen, stundenlang schlaflos, würfelte Redewendungen im Kopf, dem unermüdlichen. Ich kam auf nur vier, immer wieder, immer von neuem. Nur vier? Ich musste das Lexikon versuchen auszutricksen, dann vor allem mich: Der Zufall bringt die besten Kinder. Konstruierte mir also kunstreich Situationen, in denen eine Figur schnell – anders funktioniert er nicht, der Trick – sagen musste Ja, da geh ich hin und … oder Gestern, da war ich hin und … oder Jensens Kater, der ist doch hin und … nur das, das ging dann gar nicht mehr. Jaja, entsann ich mich gehört zu haben einmal, vielleicht: Das Lexikon ist wasserdicht. Das dachte ich und war überzeugt und schlief trotzdem nicht ein. Denn die zu wenigen Vier, die reizten mich. Vergiss den Schlaf, brummte ich, der Morgen kommt sowieso. Also: Nächster Schritt, – gerade streckte ich ein Fuß aus dem Bett – da war ich mir sicher, ich komme diesen verborgenen hin-und-…s schon auf die Schliche: Systematisch vorgehen. Ich kicherte ins Kopfkissen. Ich wurde aufgeregter, der Schlaf – uneinholbar. Also, – ich knautschte das Kopfkissen unter mein linkes Ohr – Feststellung Nummer eins: Es geht bei hin und … um Raum. Gut. Nummer zwei: Bei anderen geht es um … Zeit. Raum und Zeit. Aha, altes Erbe, denk ich und dreh mich auf die andere Seite. Altes Erbe, klassisches Erbe: Gaia und Kronos. Erstes Göttergeschlecht. Beginn der neuen Welt, … nagut, das ging so nicht weiter, das war mir intuitiv klar. Ich dreh mich wieder auf die linke Seite. Ich starre im Finstern an die geweißelte Wand zum Kaktusschatten. So, also: Kann man die vier Wendungen weiter systematisieren, aufteilen vielleicht, um dann im nächsten Schritt an die anderen, die vergessenen zwei, drei oder sieben
hin-und-…s zu kommen? Kann man sie also aufteilen? Ich dreh die Augen nach oben, knabbere an den Lippen, kurz, dann: Ja, wunderbar. Gegenfrage: Eindeutig aufteilen? Ich staune. Nein. Hier verzweigen, spricht der Linguist, denk ich, wie ich mich gerade auf den Bauch dreh, lokale und temporale Deiktika. Und dann auch noch – irgendwie – iterativ (und zugleich denk ich in Iterationsschleifen zum iterativen Phänomen dieses hin und … und mir schwindelts). Und dabei lieg ich hier im Bett und schlafe. Noch nicht. Und was überhaupt, komm ich wieder zu mir, das für ein Wort ist, dieses hin. Nicht eigentlich hier, auch nicht eigentlich irgendwo anders. Auch nichts wirklich Konkretes. Ich schnaufe und dann geht mir wieder durch den Kopf, diese eine Rede schreiben zu müssen. Wie alles das runtertransformieren, hinbiegen? Für Malerei. Für Freunde.
Bevor ich einschlief, kam sie mir in den Sinn, die Kurve, die ich kriegen könnte, vom Lexikon zur Malerei, sehr geehrte Frau Lipp, geehrter Herr Kaufmann, liebe Gäste und Freunde der Kunst: Schön, dass Sie der Einladung so zahlreich gefolgt sind, ein Donnerstagabend bietet ja viel Konkurrenz, erst recht in einer Hauptstadt wie dieser. Also, die Rede, denke ich, konzentriert sich, wenn sie einmal fertig ist, auf die Potenz von Auslassungen und Lücken. Verklärter: Auf den Zauber von Auslassungen und Lücken. Auf diese schönen und unbestechlichen drei Punkte (Zeugen der Auslassung und der Mitwisserschaft). Und natürlich von Angeboten werd ich dann sprechen, diese Lücken zu füllen. Und dass diese Angebote nicht beliebig weil gezählt, aber bei weitem nicht eindeutig sind, dass sie sich nicht aufdrängten, sich gegenseitig die Möglichkeiten wegschnappten, somit kaum konkreter würden als Ahnungen und Womöglichs. Was ist denn schon der Pinselstrich? – immer wieder Zeit im Raum, ein Hin und Her und Wieder und Zurück und Weg, dieser Raum zwischen den vier Möglichkeiten, denen des Bilderrahmens, eine neue Welt. Die Kunst. Ein Hoch auf die Kunst, dachte ich und blinzelte ein letzten Mal in jene ferne Nacht, die Kunst und ihren Pendulumbewegungen.
Stefan Hendel, Kulturhaus Peter-Edel Berlin 2006