„4 Tage“

„4 Tage“

Liebe Karsta,
werte Anwesende, Freunde und Bekannte!

Ich freue mich sehr, das diese Ausstellung mit Arbeiten von Karsta Lipp hier im Kunstpavillon Heringsdorf zustande gekommen ist.

Usedom, eine Flucht- und Sehnsuchtsstätte von Berlin, Ersatzheimat von Wasser, Luft und Licht, Heimat des Freundeskreises der 90 er Jahre aus der Anklamer Grafik-Design-Studienzeit.
Ich kenne Karsta Lipp seit ihrer Teilnahme 1998 an meinem Akt-Zeichenkurs in Berlin und lebe seit 3 Jahren mit ihr zusammen.

Obwohl Sie sich erst spät und relativ spontan der Malerei zuwandte und sich stilistisch nicht festlegen wollte, gelang der Autodidaktin in kurzer Zeit die Verwandlung zur Malerin, die mir als Seherin und Kritikerin zur Seite steht.
Jedes Bild ist ihr ein neuer Anfang, eine neues Abenteuer auf dem Weg der Eroberung bildspezifischer Lösungen für den jeweiligen Gegenstand.

Ich will nun der Ausstellung durch meine Worte keinen höheren Sinn geben. Karsta Lipps Bildsprache ist einfach, sodaß mir der Gedanke zur Erklärung und Ausdeutung unnötig erscheint.
Selbst die in ihrer fragmentarischen Phase beendeten Bilder wie das spröde Bild mit dem rotem Sessel oder ihre abgekürzten Papierarbeiten sind in ihrer Art Malerei, Stadium wurde zum Endstadium!

Die Realisierung erfolgte in künstlerisch freien Momenten, einer Konzentration abseits vom schnellebigen Alltag, eines Zeitanhaltens, eben einer der zahlreichen Vier Tage des Jahres. Was meine ich mit Bildsprache? Wie bringe ich das Bild und die Sprache zusammen? Als Sprechender muß ich mich an das Ohr wenden und nicht wie die Malerei und das Foto an das Auge.
Ich gerate in Schwierigkeiten, allzu schnell beginnt man als Erklärender das Bild zu zergliedern, anstatt  zusammenzufassen, und fügt der Unordnung neue Halbwahrheiten hinzu. Ich will aber versuchen, das was ich sehe, obgleich meiner großen Nähe zu Karsta in Worte zu fassen.

Die Motive in ihrer Malerei sowie in der Fotografie sind dem Alltäglichen entnommen, mitunter erscheinen Gegenstände, Figuren oder Räume in einer nicht typischen Ambiance, wird der Versuch psychologischer emotionaler Deutung einer Situation, eines Ortes spürbar.Immer bleibt das Maß der Mitteilung von dem bestimmt, was sie selbst erlebt und gesehen hat.

Nichts Sensationelles, überstürzende Aktivität liegt ihr fern. Ihr Ausgangspunkt ist wie gesagt die lebendige Anschauung, wobei in letzter Zeit die erlebte Fotografie eine wichtige Erinnerungsstütze oder auch ein Ideenfinder wird.
Galt vormals Ihre Fotografie als eigenständiges Medium wird sie nun immer mehr zum Finden einer neuen Bildidee eingesetzt.
Der malerische Blick steht nun im Vordergrund.
Die Bilder entstehen im Kopf, in der Hellsichtigkeit des Unbewußten.
Das Brauchbare wird aus dem Chaos herausgefiltert, ein Prozess des Ordnens.
Es ist die  Arbeit einer Malerin mit anderen Mitteln, weitergetrieben durch das Licht und die Zeit.
Die Kamera wird zum Skizzenbuch als auch zum eigenständigen Zeichengerät.

 

Die während der Reisen entstandenen Fotografien und nach den Reisen gemalten Bilder,  sind von der Anlage nichts anderes als der Blick der Menschen in ihrer dortigen, sie prägenden Landschaft.

Dennoch sind sie von ihrem Wesen nach Bilder, die von der Faszination, von Farbe und Licht erzählen, sind es Motive des Genießens, von Märchenhaften, wiederum von Stätten der Begegnung, Begegnungen die nicht stattfinden,
sind es Motive des Wartens, des Alleinseins, vielleicht der Erwartung einer unbestimmten, hoffnungsvollen Sehnsucht.

Die in ihrer Malerei  fleckhaft verteilten, nicht sofort sichtbaren menschlichen Figuren holen die Szenarien zurück aus den Gefilden sich verlierender Phantasien, macht sie als reale und wieder alltägliche Situationen erlebbar.

 

Ihre Bildwelt entsteht in einer konsequenten, malerischen Auseinandersetzung mit dem Objekt. Verdichtete Bildgefüge gerinnen zu neuen Wirklichkeiten. In sich überschichtet und verwoben entsteht die einfache klassische Bildarchitektur.

Die wiederholten malerischen Variationen ihrer Bildthemen, die bildspezifische Lösung für den jeweiligen Gegenstand, führen zur Strenge.
Künstlichkeiten werden ausgeschlossen, Erzählerisches liegt ihr nicht, die durch Malerei gefundene Form steht im Mittelpunkt.
Der Stoff wird unwichtig!

Ihre Herangehensweise schließt das Scheitern ein, Schutz gegen platte Herstellerei.
Das ist wichtig, da Unbekanntes erreicht werden soll.
Ihre Malerei entsteht in einem Prozess der Verwandlung, das Endresultat ist während der Arbeit noch nicht bekannt, Methode als eine Art Rezept für den Entstehungsprozess unnötig.
Ihre Bilder sind das Ergebnis der Bemühungen einer sich verändernden Arbeit, wechseln während des Malprozesses von der Gegenstandsdarstellung zur Empfindungsdarstellung. Die auf der Bildfläche entstehenden Farbformen werden ständig als Ausgangspunkt neuer Bildkonstellationen benutzt.

Karsta Lipp ist Realistin; sie bildet nicht ab, ihre Bilder stellen vor. Nichts ist gefällig, Wesentliches interessiert.
Ihre Gegenstandswelt ist unaufwendig, ihre Kompositionen sind von klarer Struktur,
Bildräume werden in besten Fällen zu Bildflächen.
Die Zeichnung webt die Farbflächen zusammen, strafft diese und kontrastiert wiederum das malerisch strenge Linieament, ein schwingendes Zusammenspiel.
Ein Stück Malerei.
Kleine Hausfassade in Palma oder kleines Haus in Kas, sind Beispiele dafür.

Bei den Gastststätten- oder Cafehausbildern, werden die Flächen räumlich desillusioniert. Die Zeichnung verbindet die Figuren, führt alles zusammen und schafft gemeinsam durch  unterschiedlich kalt und warm schwingenden Farbflächen den Rhythmus.
Im graublauen Cafehausbild  erzeugt eine einzige klare helle Fläche im Zentrum den Raum.
Die Arbeit bekommt ihre nötige Ambivallence, Dargestelltes erscheint nicht gleich dinglich, läßt dem Betrachter die Chance des Erschauens, des längeren immer Wiederhinsehenkönnens.

Ein Rest von Geheimnis bleibt, den hat Karsta Lipp diszipliniert, so zeigt sie uns so manchmal das Unsichtbare aus der sichtbaren Welt. Es geht um Malerei.

Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Zitat des Malers Edmund Kestings hinzufügen: „Ich bin von der Fotografie zur Malerei und von der Malerei zur Fotografie gekommen. Inneres Geschautes zeigen meine Bilder, äußeres Geschautes meine Fotogestaltungen“

Ich wünsche der Ausstellung Erfolg!

Achim Niemann, Heringsdorf 2004

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