R E D E
"Von Sousse nach Douz"
Zwei glückliche Reisen nach Tunesien 2001/2002
Louise Engel - Ute Gallmeister - Karsta Lipp - Susan Lipp
"Zweimal biege ich nach rechts ein, gehe durch einen kleinen Basar mit Gemüsen und Früchten, dann öffnet sich linker Hand eine breitere Strasse. Ich atme freier und sehe einen strahlend blauen Himmelsstreifen zwischen zwei weißen Mauerreihen. Die sonnenbeschienene Wand blendet das Auge, die beschattete ist blaugrau. Die Moscheenmauern zur Rechten und zur Linken sind halbe Ruinen; die vielen Kalkschichten machten sie unförmig. Aber die Tore bewahren noch immer ihren ursprünglichen Reiz, ihren Arabeskenrand, die verschnörkelten oder einfachen, entfalteten Sternblumen gleichenden Rosetten, ihre feinen, spitzen Zeichnungen und ihren buntglänzenden Kachelschmuck....."
(Henry Matisse 24. April 1989 aus "Zauberfest des Lichts")
Auf Reisen wieder sehen lernen, dem Alltäglichen den Rücken kehrend und sich der Askese des Unterwegsseins zuwendend.
Im Spiegel des Fremden das eigene Ich entdecken, klarer, unmittelbarer - Fremdes mischt sich fraglos in Eigenes hinein.
Von diesem Sehen aus entsteht eine Kunst, aus der das Selbst und das Fremde gleichberechtigt das neue Objekt schaffen. In der Fremde herrscht stets eine erhöhte Aufmerksamkeitsbereitschaft. Was in Gedanken, skizzenhaften Zeichnungen oder Fotos schon vorhanden war, entwickelt plötzlich einen verblüffenden Sog. Dieser klare Blick erleichtert das Wahrnehmen von Zusammenhängen.
Die Kunst spielt dergestalt als Vermittlerin des Unsagbaren eine wichtige Rolle.
Wie von selbst "findet" man nun beim Spazierengehen, im Cafe sitzend oder aus dem Fenster schauend, notwendige Einzelheiten. Sie scheinen wie mit Signalen behaftet. Der Künstler ist eingestimmt, es kommt darauf an, diese halluzinatorische Aufmerksamkeit zu bewahren. Dieser Prozeß greift offenbar eher, je größer die Distanz zum Alltäglichen, Heimatlichen, die Kultur eine jäh andere ist. Das Innehalten, Anhalten des alltäglichen, realen Gedankenflusses ermöglicht den Einstieg in die kreativ-poetische Denkebene - die abgekehrt - träumend wacher sein läßt.
Der Wanderer zieht hinaus, um zu suchen, wie der Maler an seiner Staffelei bewegt er sich ständig, um die rechte Perspektive zu finden, und spürt, das er seinem Bilde zu nahe ist, und er sich hin und wieder entfernen muß, um es mit distanziertem Blick zu betrachten. Er entwirft und verändert die Töne seiner Welt, so wie er sie wahrnimmt; reist von ihnen fort, um die Proportionen sorgfältiger abzustimmen, um mit geschärftem Blick und ruhigerem Auge zurückzukehren. Er verläßt den gegebenen Rahmen und erkundet das Neue, oder er sprengt den Rahmen selbst und stellt die Objekte in neue Zusammenhänge.
Reisende kehren mit Bildern zurück. Es sind dies Bilder in der Erinnerung und Bilder in der Hand. Die Bilder kommen ohne Erklärung aus, sie entstehen aus der Kraft der Landschaft und der dort lebenden Menschen.
Anfang der Jahre 2001 und 2002 unternahmen die miteinander befreundeten Ausstellerinnen Louise Engel, Ute Gallmeister, Karsta Lipp und Tochter Susan Lipp zwei Reisen quer durch das nordafrikanische Tunesien. Mit Zeichenbüchern unter dem Arm und Interesse für das Einfache, dort Alltägliche, für Orte abseits der Touristenstrassen. Sie lernten Menschen kennen, die ins traditionelle, bescheidene Heim zum Couscous, Pfefferminztee und Cola, nebst arabischer Musik aus dem Kofferradio einluden, oder auch Menschen, die sie zum allabendlichen Fladenbrotbacken an das warme Feuer baten. Oder gerieten mitten auf einer Strasse in ein dreitägiges Hochzeitsfest. Oder saßen zwischen den alten Tee trinkenden Männern im Schatten eines Cafes in Douz.
Mit ihren Arbeiten nehmen sie uns mit auf die Reise an Orte aus "Tausend und einer Nacht" nach Kaiouruan, Nefta, Mahdia, Matmata, Souse und Douz.
Die dort entstandenen bzw. später im Atelier gemalten Bilder sind weniger Bestandsaufnahmen, sie sind vielmehr Spiegelbilder, Wiederschein von Eindrücken, Erlebnissen, Begegnungen mit der Landschaft, sind Stimmungen, sind Momente einer Reise, so die Reise selbst Moment ist.
Sie geben nicht die sichtbare Umgebung wieder, sondern schildern mit den Farben und Formen eines bestimmten Ortes ihre persönliche Befindlichkeit, ihre Wahrnehmung eben dieses Platzes, ihr Verhältnis zu dieser Stelle.
"Endlose Reihen Olivenbäume werfen ihre Schatten. Schafe.
Weinstöcke goldgelb. Auch rot.
Frauen bückend, Männer sitzend.
Ewiges Fragen nach der Richtung.
Nicht wissend woher man kommt, nicht wissend, wohin man geht.
Rote Erde, gelbe Wege.
Die Dörfer. Verblüffende Einfachheit. Tunesische Freundlichkeit.
Güterzug und Schafhirt.
Sousse: Hinter den Türen schimpfen die Frauen.
Cafe Riadh El., Sonne.
Zeichnen - Alte Männer "The au pignon" trinkend, rauchend.
An nichts denkend. Wie schön!
Der Wind streichelt mich. Einfach nur so. Berührung mit sich selbst.
Den weißen Sand noch am Schuh.
Angekommen?!"
(aus dem Reisetagebuch von Karsta Lipp)
Je näher das Fremde rückt, desto fremder wird das Eigene. Das Fremde beschreiben und zu begreifen und es so mit dem Eigenen in Beziehung setzen bedarf wacher Sinne. Fremdes mischt sich fraglos in Eigenes hinein.
Funde geraten zu Erfindungen. Material zur Phantasie.
"Dieses Land ist so durchtränkt mit Licht, das selbst das trübe Wetter die Farbenpracht nicht auszulöschen vermag, eine Pracht, die Europas Sonne auf keinem Festkleid hervorzaubern könnte...", so Henry Matisse 100 Jahre zuvor.
Achim Niemann, Burg Klempenow 2002 |